Blindflug in die Fachkräftekatastrophe

Mein Gastbeitrag beim Focus

Das Lied vom Fachkräftemangel wird mit beständiger Regelmäßigkeit alle halbe Jahre gespielt, um dann mit irgendwelchen Bündnissen, Masterplänen oder Anwerbeabkommen das Ruder herumreißen zu wollen. Doch eine Trendwende bleibt bisher aus.

Mit Verlassen der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt wird sich die Lage in den nächsten Jahren noch deutlich zum Schlechteren entwickeln. Im Hintergrund dieser ohnehin düsteren Aussichten ist die Bundesregierung jedoch geradewegs dabei, dem Arbeitsmarkt seinen endgültigen Knockout zu versetzen!

Bei den zukünftigen Fachkräften, also den Auszubildenden, Studierenden oder Berufsschülern, ist oft alles auf Kante genäht. Ausbildungsgehalt oder BAföG reichen meist geradeso, um über die Runden zu kommen. Fast die Hälfte der BAföG-Empfänger lebt beispielsweise unterhalb der Armutsschwelle.

Hohe Abbruchquoten

Das wurde lange Zeit mehr oder weniger zähneknirschend hingenommen. »Lehrjahre sind keine Herrenjahre« – man kennt es. Doch mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der darauffolgenden Teuerungswelle hat sich etwas fundamental verändert.

Wer sich vorher irgendwie durchschlagen konnte, wird dies in Zukunft nicht mehr können. Es droht eine Abbruchquote unbekannten Ausmaßes bei Berufsausbildungen und im Hochschulbereich. Noch schlimmer sieht es für zukünftige Schulabgänger und -abgängerinnen aus. Es kann sich glücklich schätzen, wer von diesen einen Ausbildungsplatz im Wohnort der Eltern findet.

Für eine Ausbildung umzuziehen und vom Ausbildungsgehalt auch noch Miete zu zahlen und alle anderen Kosten zu bestreiten, wird sich nur noch leisten können, wer ein paar hundert Euro Taschengeld von den Eltern zusätzlich bekommt.

Junge Menschen brauchen mehr Unterstützung

Die Gießkannen-Entlastungspakete der Bundesregierung schaffen hier leider nur wenig Abhilfe. Auch beim »200-Milliarden-Doppel-Wumms« ist noch nicht sicher, wie genau die Bundesregierung diesen umsetzen wird. Damit wir nicht einer ganzen Generation von Schulabgängern völlig die Perspektive nehmen, braucht es für diese vor allem langfristige Planbarkeit. Kaum etwas sollte in der jetzigen Lage so wichtig sein, wie diesen jungen Menschen mit zielgenauen Maßnahmen uneingeschränkte Unterstützung zu signalisieren.

Aber die Bundesregierung scheint dieses drohende Szenario noch nicht einmal genauer einschätzen zu können. Auf meine Frage, ob die Bundesregierung mit einer erhöhten Abbruchquote bei Berufsausbildungen in den kommenden Monaten rechnet, wurde mir geantwortet, man würde dazu keine Prognose anstellen. Einen solchen Blindflug können wir uns in dieser Zeit nicht leisten!

1,5 Millionen Menschen zwischen 25 und 35 Jahren keinen Berufsabschluss

Dabei treibt mich nicht nur der größer werdende Fachkräftemangel um. Mir geht es vor allem um die vielen Jugendlichen, die eben nicht die Berufsausbildung ihrer Wahl werden antreten können, sondern stattdessen vielleicht lieber einen Aushilfsjob neben dem Elternhaus wählen, wo schneller mehr zu verdienen ist. Bereits jetzt haben in Deutschland 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 25 und 35 Jahren keinen Berufsabschluss.

Das ständige Gerede vom dramatischen Fachkräftemangel in Deutschland gerät zur Farce, wenn die Bundesregierung dieses drohende Problem nicht sofort adressiert. Hier kann die Antwort nicht Entlastung per Gießkanne sein – nach dem Motto »wird schon auch die Richtigen treffen«. Hier müssen die Fachministerien ran und für eine zukunftssichere langfristige Perspektive für Auszubildende, Berufsschüler und Studierende sorgen.
Ausbildungsumlage zur Entlastung

Vorschläge gibt es genug : Betriebe müssen dabei unterstützt werden, Ausbildungsplätze anzubieten. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, Betriebe, die nicht ausbilden, zahlen eine Ausbildungsumlage, um die zu entlasten, die Ausbildungsplätze ermöglichen.

Daneben brauchen Auszubildende, Studierende und Schüler in vollzeitschulischer Ausbildung ein Auskommen, das zum Leben unabhängig von den Eltern reicht. Vor allem in Zeiten hoher Inflation darf der Gesetzgeber sich hier nicht ausruhen. Mindestausbildungsvergütung oder BAföG müssen die tatsächlichen Lebenshaltungskosten decken – heute, in einem Monat und auch in einem Jahr noch.

Aufhebung des Kooperationsverbots

Das könnte etwa mit einer inflationsgebundenen Anpassung des BAföG und der Mindestausbildungsvergütung oder über regional gestaffelte Wohnkostenzuschüsse erreicht werden. Zusätzlich muss über eine Befreiung von jeglichem Schulgeld und Studiengebühren nachgedacht werden. Dass die Länder bei der Bildungsfinanzierung und zur Schaffung von ausreichend Wohnraum für junge Menschen dauerhaft Unterstützung vom Bund benötigen, ist vermutlich auch den meisten Mitgliedern der Bundesregierung bereits klar.

Dies muss aber endlich auch in der Aufhebung des Kooperationsverbots münden. Auch die Zugänge zu Aus- und Hochschulbildung für Menschen aus anderen Herkunftsländern müssen erleichtert und Anerkennung von Abschlüssen dringend vereinfacht und beschleunigt werden. Die Aufgabenliste ist lang. Führungsschwäche können wir uns gerade jetzt nicht leisten. Es braucht jetzt mehr als »Doppel-Wumms« und Gießkanne.

Link zum Artikel auf focus.de

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