Das muss der finale Weckruf sein

Mein Gastbeitrag bei T-Online

Grundschulkinder können immer schlechter lesen und schreiben. Die Regierung aber lehne sich entspannt zurück, kritisiert die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Nicole Gohlke, in ihrem Gastbeitrag.

Wir alle erinnern uns noch an den ersten PISA-Schock vor 21 Jahren. Anfang der Woche gab es eine Meldung, die eigentlich noch viel größere Schockwellen hätte auslösen müssen – doch es blieb erschreckend still. Am Montag wurde der IQB-Bildungstrend vorgestellt und seine Ergebnisse sind, ohne übertreiben zu müssen, dramatisch.

Noch nie gab es eine dermaßen große Verschlechterung bei der Lese-, Rechen- und Rechtschreibkompetenz der Viertklässler. Doch auf der Bundesebene herrschte resignierende Gleichgültigkeit. Die wenigen Ampelpolitikerinnen und -politiker, die sich aus der Deckung gewagt haben, verweisen schamhaft auf das Startchancen-Programm, von dem dann irgendwann mal 4.000 Schulen (von insgesamt über 40.000!) profitieren sollen. Genau dieses Startchancen-Programm hat die Bundesregierung aber gerade erst ins Jahr 2024 geschoben.

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Die Koalition schiebt ihr wichtigstes Programm für mehr soziale Gerechtigkeit in der Bildung bis kurz vor die nächste Bundestagswahl. Ansonsten aber herrschte Schweigen im Walde, weil es der Bundesregierung wohl selbst dämmert, dass sie es in ihrer kurzen Amtszeit bereits geschafft hat, dem Bildungssystem einen echten Bärendienst zu erweisen, als sie erst kürzlich die so wichtige Förderung der Sprachkitas nicht verlängert hat. Sprachkitas, die genau dafür da sind, Kindern mit Sprachdefiziten zu helfen, werden gestrichen, während die Viertklässler immer schlechter lesen und schreiben.

Systematisch kaputtgespart

Die IQB-Ergebnisse müssten aber der finale Weckruf sein, jetzt endlich die Ärmel hochzukrempeln und Dinge grundlegend und strukturell zu verändern. Wir können doch nicht Jahr für Jahr den Lehrkräftemangel betrauern und zusehen, wie immer mehr Kinder Probleme beim Schreiben oder Rechnen haben, gleichzeitig aber nichts ändern, außer hier und da mal ein kleines Progrämmchen mit toll klingendem Titel zu verabschieden.

Unser Bildungssystem ist über Jahrzehnte systematisch kaputtgespart worden. Die Lehrkräfte, die den Schulladen noch am Laufen halten, gehen komplett auf dem Zahnfleisch, Schüler sollen sich in Jacke gekleidet in kalten, modrigen Klassenzimmern auf den Unterricht konzentrieren. Sozialarbeiter sucht man in den meisten Schulen vergebens.

Ob Ampel oder Groko – keine Regierung wurde bisher müde, beim Thema Lehrkräftemangel oder bei der Bildung ganz generell auf die Länder zu verweisen. Aber die Bundesländer und Kommunen kennen das Problem nun auch schon Jahrzehnte und schaffen es eben nicht, es alleine zu lösen. In dieser Situation forderte nun auch noch Finanzminister Lindner in einem Gastbeitrag in der FAZ, der Bund sollte sich doch lieber raushalten bei Länderangelegenheiten. Das ist das Gegenteil von dem, was jetzt angezeigt wäre.

Der Bund stiehlt sich billig aus der Verantwortung

Um dieses Problem anzugehen, müssen wir ran an die Struktur. Und das geht auch und gerade auf Bundesebene. Mit Verweis auf die Länderhoheit stiehlt sich der Bund nicht mehr nur billig aus der Verantwortung, mittlerweile kann man hier nur noch davon sprechen, dass sich mutwillig an der Zukunft der jungen Generation vergangen wird. Die Bundesländer brauchen dringend Unterstützung vom Bund. Das ist mehr als offensichtlich. Ohne einen „Doppel-Wumms“ für die Bildung geht es nicht. Dazu muss das Kooperationsverbot endlich aufgehoben werden.

Der Bund muss Bildung also mitfinanzieren, genau an dieser Stelle dürfen wir nicht geizig sein. Die Konzepte liegen alle auf dem Tisch. Aber wir gehen derzeit noch nicht einmal in die richtige Richtung. Jahr für Jahr schicken wir beispielsweise Lehrkräfte in den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit, damit der Staat einen Monatslohn spart. Sieht so etwa Werbung für den Beruf aus? Und wer Weitblick hat, kommt auch von selbst darauf, dass Bildung übrigens nicht erst in der Grundschule anfängt.

Wieso ist die Grundschule unwichtiger als das Gymnasium?

Wenn wir mehr Lehrkräfte oder eben Personal in den Kitas brauchen, müssen wir die Jobs attraktiver machen – etwa mit einem großen Sanierungsprogramm für Schulgebäude, durch Angleichen der Gehälter zwischen den unterschiedlichen Schulformen auf A/E 13-Niveau. Wieso sollte es weniger wichtig sein, in der Grundschule zu unterrichten als am Gymnasium? Der Bund sollte eine groß angelegte Fachkräfteoffensive starten. Damit das Geld vor allem an den Schulen ankommt, die es brauchen, müssen wir den Verteilungsschlüssel sozial gerecht umgestalten in einen Sozialindex.

An deutlich mehr Geld zur Herstellung von besseren Lern- und Arbeitsbedingungen kommen wir nicht vorbei, wenn wir den Lehrkräftemangel beseitigen wollen und verhindern möchten, dass nicht jeder neue Bildungsbericht zu einer Horrormeldung wird. Je schneller wir anfangen, desto besser.

Link zum Artikel auf t-online

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