Raus aus dem Dauerstress
Mein Gastbeitrag bei der TAZ
Alle Beteiligten im System Schule sind unzufrieden: Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern. Der Grund dafür ist ein auf Leistung getrimmtes, selektierendes Schulsystem, in dem Dauerstress der Normalzustand ist. Es wird gebüffelt, getestet, geprüft, was das Zeug hält – und trotzdem zeigen die Vergleichstests immer wieder: Vielen Grundschüler*innen fehlen Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Tausende junge Menschen verlassen die Schule ohne Abschluss, psychische Erkrankungen nehmen zu.
Bei den Lehrkräften dasselbe Drama: ein immer größeres Arbeitspensum, mehr Unterrichtsstoff, mehr Verwaltung, mehr IT, mehr Kinder, größere Klassen – und das mit einem halb besetzten Kollegium: Das bringt jede noch so engagierte Lehrkraft an ihre Grenzen.
Die jahrzehntelange chronische Unterfinanzierung des öffentlichen Bildungssektors und ein dramatischer Fachkräftemangel prallen auf ein strukturell völlig veraltetes, hierarchisches und selektives Schulsystem. Damit muss endlich Schluss sein! Wir dürfen bei der Herstellung einer modernen, inklusiven und demokratischen Lernkultur, von Bildungsgerechtigkeit und Mobilität nicht noch mehr Zeit verlieren!
Dafür muss Schule einen grundsätzlich neuen Weg einschlagen: Ohne permanenten Stress, ohne Angst und Frust. Ein Paradigmenwechsel weg vom Selektieren hin zum Fördern, vom Beschämen zum Stärken. Es braucht andere moderne und demokratische Beurteilungsmaßstäbe als das enge Notenkorsett und die ewige Testerei; das Sitzenbleiben und Abschulen muss überwunden werden; die Lehrkräfte brauchen wieder Zeit, Inhalte zu vermitteln, statt sich mit Verwaltung herumzuschlagen; das Lernen gehört in die Schule, nicht nach Hause.
Das Konzept „Eine Schule für alle“ setzt auf individuelles, selbstbestimmtes Lernen, ist inklusiv und demokratisch. Andere Länder sind da viel weiter. Sie praktizieren längeres gemeinsames Lernen ohne das Aussortieren nach der Grundschule. Wir müssten uns nur auch endlich mal trauen.